Gibt es arrogante Experten?
Bei der letzten Sitzung des Expertenring Region Stuttgart hatten wir eine Diskussion zum Thema Selbstvermarktung und die Abgrenzung zu Arroganz. Gibt es da klare Grenzen oder sind diese fließend? Ist es eine Sache der Darstellung oder der Empfindung? Finden junge Menschen ältere Experten automatisch arrogant?
Ich habe da eine klare Meinung und sehr positive Erfahrungen. Man ist nicht ein Experte, weil man es nur behauptet. Laut Wikipedia ist ein Experte „eine Person, die über überdurchschnittlich umfangreiches Wissen auf einem Fachgebiet oder mehreren bestimmten Sacherschließungen oder über spezielle Fähigkeiten verfügt“.
Dieses überdurchschnittlich umfangreiche Wissen ist eine Mischung aus Fähigkeit, Erfahrung und der Bereitschaft, offen für alles zu sein und stetig dazuzulernen. Wer dieses Wissen nicht hat, schätzt „seinen Rang oder seine Fähigkeiten unrealistisch hoch ein“ und ist per Definition arrogant.
Ich bin – und dies ohne dabei arrogant zu sein – mit über 3000 weltweit erfolgreich durchgeführten Projekten in meinem Fachbereich mit einem sehr großen Erfahrungsschatz gesegnet. Diese Erfahrung haben viele andere nicht. Können sie auch gar nicht haben. Vielleicht mangels Gelegenheit, durch evtl. eingeschränkte Möglichkeiten im Job, durch immer die gleichen Routineprojekte oder aus welchem Grund auch immer.
Bei diesen zahlreichen Projekten habe ich mit meinem Team kreative und innovative Eventkonzepte erstellt, Meetings und Incentives geplant, organisiert und als Full-Service-Agentur erfolgreich realisiert. Es gab auch Projekte, bei denen ich als externer Berater eingesetzt wurde. Ich habe bei Ausschreibungen mitgewirkt, Konzepte auf Machbarkeit untersucht, Verträge oder Organisationspläne geprüft, habe vor Ort festgestellt, ob tatsächlich das geliefert wurde, was bestellt war (Leistungssicherstellung) oder war als begleitender Berater dem internen Team zur Seite gestellt. Meistens unsichtbar oder als Mitarbeiter des Kunden unterwegs.
Die Aufgabe
Im konkreten Beispiel wurde ich von einem Bereichsleiter als Eventexperte nach Frankfurt geholt, weil ihm die Planung eines Events in seinem Bereich nicht ganz schlüssig war. Das Eventteam seines Bereichs bestand aus einer 25-jährigen „Senior-Eventmanagerin“ ohne Erfahrung und zwei Sekretärinnen, ebenfalls ohne Erfahrung. Es hatte die Aufgabe, eine jährlich stattfindende Veranstaltung für 150 Teilnehmer aus vier Kontinenten zu organisieren. Der Termin für die erste Veranstaltung stand schon fest und war in rund drei Monaten. Zum Aufgabenbereich gehörten alle Gewerke. Das Budget lag im mittleren 6-stelligen Bereich. Ich war für drei Tage engagiert, um den IST-Zustand zu erfassen, zu analysieren und Empfehlungen über evtl. Verbesserungen auszuarbeiten und der Geschäftsführung zu präsentieren.
Ja, wie wirkt denn ein externer Experte, der auf einmal den drei jungen Damen vor die Nase gesetzt wird, um deren Arbeit zu überprüfen? Arrogant? Nein. Ich hatte mich nicht als der große Event-Zampano präsentiert, der sowieso alles besser kann und den jungen unerfahrenen Eventdamen mal zeigt, wie man das richtig macht. Ich hatte schnell erkannt, dass die Probleme ganz woanders lagen.
Mein erstes Meeting mit der Eventabteilung war montags um 10.00 Uhr. Bereits um 10.30 Uhr hatte ich den Damen verkündet, dass ich empfehlen werde, die erste Veranstaltung abzusagen und um ein Jahr zu verschieben. Ihnen fiel ein Stein vom Herzen. Wir versuchten dann gemeinsam herauszufinden, warum das Konzept und die Planung für eine erfolgreiche Umsetzung nicht geeignet war. Das Konzept war dabei nicht das größte Problem, sondern die Tatsache, dass aufgrund der direkten Führungskraft die Mitarbeiterinnen nicht in der Lage waren, Hilfe anzufordern. Wie wäre es denn bei der Führungskraft angekommen, wenn die Mitarbeiterinnen gesagt hätten: „Ich habe das noch nie gemacht. Ich kann das nicht. Ich brauche da Hilfe.“ Dies nicht kommunizieren zu können, bzw. sich nicht zu trauen dies zu kommunizieren, ist das eigentliche Problem. Die Führungskraft hatte die Unerfahrenheit in Bezug auf diese komplexe Veranstaltung nicht berücksichtigt und seine Mitarbeiterinnen ins kalte Wasser geworfen und dann noch zusätzlich mit seiner fehlenden Führungskompetenz unter Wasser gedrückt. Für Unzulänglichkeiten wie Ratlosigkeit und zu den entstehenden Problemen war er nicht zugänglich. Eine schlechte Führungskraft, die seine Mitarbeiterinnen in keiner Weise unterstützt hat. Glücklicherweise hatte der Bereichsleiter das richtige Gefühl.
Ich habe die Angewohnheit, alle Mitglieder eines Projektteams aktiv einzubinden und über alles zu informieren. Ich möchte niemals jemand nach einem Projekt sagen hören „das habe ich mir schon gedacht“ oder „das war ja klar“. Es muss alles auf den Tisch - alle Bedenken, Unregelmäßigkeiten oder Probleme. Und das sofort. Rücksichtslos. Ungefiltert. Wer nichts sagt und nach dem Projekt mit so einem Spruch kommt, ist für mein Team ungeeignet. Ich muss als Experte die Grundlagen für die offene Kommunikation schaffen. Dazu gehören offene Türen und Ohren, die Bereitschaft aller Teammitglieder (inklusive Teamleiter und Führungskräfte) für konstruktive Kritik, das Kommunikationsverhalten aller Beteiligten und die Zusammenstellung des Teams. Die richtige Mischung aus Unternehmenskultur und Teamspirit.
Wieder zurück zum Beispiel. Wie ging es weiter? Ich hatte mit den drei Damen alle Faktoren analysiert und viele Fehler festgestellt, die schon bei den Anforderungen und beim Grundkonzept gemacht wurden. Diese Fehler wurden dann aufgrund der Unerfahrenheit nicht erkannt und hatten sich negativ fortgesetzt. Exponentiell. Wir haben gemeinsam eine Vorgehensweise erarbeitet, die nicht nach Schuldigen suchte, sondern lösungs- und zukunftsorientiert war.
Das Ergebnis
Bereits am Nachmittag des zweiten Tages hatte ich der Geschäftsführung den Sachverhalt präsentiert und den Vorschlag gemacht, gemeinsam mit dem Eventteam die Veranstaltung komplett neu zu konzipieren und zu planen. Es sollte ein Grundgerüst für die Gesamtorganisation gebaut werden, das für die gesamte Veranstaltungsreihe genutzt werden kann. Ich machte das Angebot, das Projekt bei der ersten Veranstaltung zu begleiten und bei der Folgeveranstaltung im Jahr darauf noch etwas Hilfestellung zu geben, falls das nötig gewesen wäre. So wurde es dann auch entschieden. Die erste Veranstaltung war ein voller Erfolg und die Veranstaltungsreihe läuft jetzt schon seit einigen Jahren erfolgreich und ohne Probleme. Ich durfte in Folge dann mein Expertenwissen noch bei weiteren Projekten in anderen Bereichen des Kunden einbringen und diese begleiten.
Nebenbei habe ich vier Jobs und den Ruf einer Firma gerettet und sehr viel Geld gespart. Und das alles nur, weil ich eine Person bin, die über überdurchschnittlich umfangreiches Wissen auf einem Fachgebiet verfügt. Ist das arrogant? Experten auf dem Fachgebiet sagen: Nein. So sind echte Experten halt.
Zum Autor Günter Dull:
Als Eventexperte und Eventsachverständiger hat Günter Dull seit Gründung der Dull Entertainment GmbH im Jahr 1984 über 3000 MICE-Projekte (Meetings, Incentives, Conventions, Events) für mittelständische und große Unternehmen im In- und Ausland kreiert, geplant und erfolgreich realisiert.