Alle Bänder stehen still, wenn Chinas starker Arm es will?
Wie Handelskonflikte und Exportkontrollen aus China den industriellen Mittelstand unter Druck setzen – und was jetzt hilft
In einer zunehmend geopolitisch geprägten Weltwirtschaft geraten internationale Lieferketten immer häufiger ins Wanken. Für den industriellen Mittelstand, der oft stark exportorientiert arbeitet und auf spezialisierte Vorprodukte angewiesen ist, wird diese Entwicklung zu einer konkreten Herausforderung. Besonders spürbar: die Eskalation der Handelskonflikte zwischen China, den USA und der EU – sowie Chinas Exportkontrollen bei strategisch wichtigen Rohstoffen wie Seltenen Erden.
Die Frage, ob „alle Bänder stillstehen, wenn Chinas starker Arm es will“, ist daher keine rhetorische Zuspitzung mehr, sondern ein realistisches Szenario, das nach strategischen Antworten verlangt.
1. Handelskonflikte USA–China: Die Rückkehr des Protektionismus
Zwischen den USA und China ist der wirtschaftspolitische Ton seit Jahren rau. Zwar wurde im Frühjahr 2025 eine befristete Aussetzung gegenseitiger Strafzölle vereinbart, um neue Verhandlungen zu ermöglichen. Doch das Vertrauen ist brüchig. Beide Seiten werfen sich mangelnde Vertragstreue und gezielte Industriesubventionen vor.
Die USA haben insbesondere den Export kritischer Technologien wie Halbleiterfertigungsanlagen beschränkt, während China im Gegenzug Exportkontrollen auf strategische Rohstoffe verschärfte. Für viele Mittelständler in Europa bedeutet das: Störungen in der Versorgung mit Vorprodukten, steigende Kosten, Planungsunsicherheit.
2. EU–China: E-Auto-Zölle als Zündfunke
Auch zwischen der EU und China hat sich der Ton verschärft. Die EU-Kommission erhob im Herbst 2024 zusätzliche Zölle von bis zu 38 % auf chinesische Elektroautos – mit Verweis auf mutmaßlich wettbewerbsverzerrende Subventionen. China reagierte mit Gegenzöllen auf europäische Produkte und prüft weitere Maßnahmen, etwa im Bereich Agrar, Spirituosen und Maschinenbau.
Der Streit über die Marktverzerrung durch chinesische Industriepolitik ist dabei symptomatisch für ein tieferliegendes Problem: Der globale Wettbewerb wird zunehmend über strategische Hebel wie Zölle, Exportkontrollen und Zugang zu Schlüsselressourcen geführt.
3. Chinas Exportkontrollen für Seltene Erden: Engpässe mit System
China produziert und verarbeitet rund 90 % der weltweit benötigten Seltenen Erden – zentrale Rohstoffe für Elektromotoren, Sensorik, Medizintechnik, Lichtsysteme und viele weitere Industriegüter. Seit April 2025 unterliegen Exporte bestimmter SE-Permanentmagnete und zugehöriger Materialien neuen Kontrollregelungen. Unternehmen müssen detaillierte Exportanträge stellen, die durch ein nationales Tracking-System überwacht werden.
Problematisch ist dabei nicht nur die Maßnahme an sich, sondern auch deren Umsetzung: Die Vergabe von Exportgenehmigungen unterliegt nach Einschätzung zahlreicher Marktakteure einer hohen Intransparenz. Einige sprechen sogar von „bürokratischer Willkür“ und gezielter „strategischer Verknappung“, die weniger technischen oder administrativen, sondern vielmehr politischen Zwecken dient – etwa um Chinas Verhandlungsposition gegenüber der EU gezielt zu stärken. Die eingeschränkten Ausfuhren fungieren dabei als wirtschaftliches Druckmittel, um Einfluss auf europäische Entscheidungen etwa in der Zoll-, Industrie- oder Subventionspolitik zu nehmen – beispielsweise im Kontext der E-Auto-Debatte.
Auch die chinesischen Lieferanten leiden unter dem Konflikt. Sie haben keine Handhabe gegen ausbleibende Genehmigungen, fürchten aber gleichzeitig drakonische Strafen bei Verstößen – bis hin zu Haftstrafen für Manager oder dem Entzug der allgemeinen Außenhandelslizenz. Das Ergebnis: Verunsicherung, ausbleibende Lieferzusagen, massive Planungsprobleme auf Käuferseite.
Ich selbst habe in den vergangenen Monaten in persönlichen Gesprächen mit Eigentümern führender chinesischer Magnethersteller und dem Verhandlungsteam der EU-Kommission tiefergehende Einblicke in die Lage erhalten – sowohl aus Industrie- als auch Regulierungssicht. Besonders wichtig war mir dabei, die oft vernachlässigte Perspektive des industriellen Mittelstands außerhalb des Automotive-Sektors einzubringen.
Denn eines muss klar gesagt werden: Die Auswirkungen der Exportkontrollen betreffen nicht nur E-Autos. Produktionsausfälle drohen auch im Sanitärbereich, im Brandschutz, im Maschinen- und Anlagenbau, in der Lichttechnik und selbst in der Verpackungsindustrie. Diese Branchen wiederum beliefern weitere Sektoren – mit der Folge, dass raumgreifende Störungen der gesamten industriellen Wertschöpfungskette zu erwarten sind, sollten die Beschränkungen anhalten oder sich verschärfen.
4. Erfahrungswerte aus der Praxis: Vertrauen als strategische Ressource
Als Verantwortlicher für das Lieferantenmanagement unter Anderem im Bereich SE-Permanentmagnete konnte ich bereits während der Corona-Pandemie und erneut unter den aktuellen Exportbeschränkungen dieselbe Lehre ziehen: Wer Krisen überstehen will, muss vorausschauend handeln – und vor allem verlässliche persönliche Beziehungen pflegen.
Unsere Kunden – meist mittelständische Unternehmen – sind bislang relativ gut durch diese Phase gekommen. Warum? Weil sie frühzeitig Lagerbestände aufgebaut haben. Und vor allem, weil sie seit Jahren oder Jahrzehnten verlässliche persönliche Kontakte zu ihren chinesischen Lieferanten pflegen.
In der Praxis zeigt sich: Sobald Vertrauen auf beiden Seiten besteht, werden diese Kunden bei den verbleibenden Lieferkontingenten priorisiert. Während andere auf unklare Rückmeldungen warten, stellt sich für unsere Kunden oft schon nach wenigen Wochen eine verlässlichere Versorgungslage ein – nicht aufgrund offizieller Sonderregelungen, sondern weil gegenseitiges Vertrauen in Krisenzeiten das stärkste Kapital ist.
5. Handlungsempfehlungen für den industriellen Mittelstand
Was folgt daraus für mittelständische Industrieunternehmen?
- Risikodiversifikation: Alternative Lieferländer und regionale Lieferketten prüfen – insbesondere bei Vorprodukten mit hohem geopolitischem Risiko.
- Vorratsstrategien: Kritische Materialien strategisch bevorraten – nicht als Dauerlösung, aber als Überbrückung.
- Beziehungsmanagement: Persönliche, interkulturell tragfähige Partnerschaften zu Schlüsselzulieferern pflegen – über die Einkaufsabteilung hinaus.
- Frühwarnsysteme: Politische Entwicklungen eng verfolgen und deren potenzielle Auswirkungen auf das eigene Geschäft regelmäßig bewerten.
- Branchenvertretung nutzen: Die Stimme des Mittelstands bei politischen Verhandlungen stärken – zum Beispiel über Verbände, direkte Kontakte oder strukturierte Branchendialoge.
6. Jetzt strategisch handeln – Stillstand vermeiden
Auch in angespannten Zeiten wie diesen lassen sich Lieferbeziehungen gezielt stärken – vorausgesetzt, Unternehmen agieren entschlossen und mit der notwendigen Marktkenntnis. Selbst unter den aktuellen Rahmenbedingungen gibt es Möglichkeiten, Priorisierung bei Lieferungen zu erreichen, Risiken zu minimieren und Versorgungsengpässe abzufedern.
Dazu braucht es jedoch spezifische Expertise, gewachsene Kontakte und interkulturelles Feingefühl. Wer jetzt passiv bleibt, riskiert nicht nur Verzögerungen, sondern im schlimmsten Fall Produktionsstillstände.
Zum Autor Lutz Berners:
Als Internationalisierungsexperte hat Lutz Berners seit Gründung der Berners Consulting GmbH im Jahr 2009 über 100 Internationalisierungsprojekte für mittelständische und große Unternehmen im In- und Ausland begleitet. Sein Team betreut fortlaufend Lieferketten für mehrere mittelständische Unternehmen, einige davon seit über einem Jahrzehnt.